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IHSK   Blog

 
17 Juni 2025

Call for Papers - Adoleszenz in der Polykrise: Entstehung und Rekonstruktion generationeller Weltbilder

Workshop an der Universität Basel aus Anlaß des 25-jährigen Jubiläums des IHSK Frankfurt, 21./22. Mai 2026

Convener: PD Dr. Andreas Franzmann (Frankfurt), PD Dr. Axel Jansen (Washington, DC), PD Dr. Roland Becker-Lenz (Basel)

Die aktuelle Jugendkohorte wächst in eine historische Konstellation hinein, in der sich zahlreiche Grundkonstanten früherer Generationen aufzulösen scheinen. Die Diagnose eines massiven Klimawandels und seiner Folgen, Einschränkungen während der Corona-Pandemie, der russische Expansionskrieg in der Ukraine, globale wirtschaftliche Verschiebungen und die Folgen für die einstigen Industrieländer des Westens, der Aufstieg des Rechtspopulismus und die Schwächung transatlantischer Allianzen zeitigen neue Krisen und Unsicherheiten. Nicht selten ist bereits die Beschreibung dieser Krisen polarisierend, weil über ihre Art und Gewichtung kein Konsens besteht. Folgt man dem Tenor aktueller Mediendebatten, befindet sich die Welt in einem tiefgreifenden Wandel, einer „Polykrise“ (Adam Tooze), deren epochaler „Nenner“ weder klar umrissen, noch deren Ausgang absehbar wäre.

Ein Blick auf die aktuellen Jugendkohorten ist vor diesem Hintergrund aus mehrfacher Hinsicht interessant. Die Adoleszenz ist selbst eine Krise für junge Menschen, weil diese sich von ihrem Elternhaus und ggf. auch ihrem sozialisatorischen Herkunftsmilieu lösen und erste Schritt auf dem Weg in eine erwachsene Selbständigkeit mit neuen Bindungen gehen müssen. Sie ist das Ende der Kindheit, umfasst nicht nur die Pubertät als einer körperlichen Verwandlung, sondern auch die Herausforderung, sich den „Bewährungsdimensionen des Erwachsenenlebens“ (Ulrich Oevermann) verbindlich zu stellen und eigene Lebensentscheidungen treffen zu müssen, die den späteren biographischen Weg bahnen: „Was ist mein Beitrag zum Erhalt meines politischen Gemeinwesens und welche Positionen habe ich im politischen Meinungsstreit?“ „Was ist mein privater Lebensentwurf bzw. welche psychosexuelle Identität habe ich hinsichtlich Geschlecht, Sexualität, Partnerschaft und Kinderwunsch?“ Schließlich: „Welchen Beruf ergreife ich bzw. mit welcher Arbeit erziele ich ein Einkommen, das mich wirtschaftlich unabhängig macht?“ Diese Fragen stellen sich je nach Geschlecht und Milieu sehr unterschiedlich und müssen je individuell beantwortet werden, möglicherweise verschiebt sich von Generation zu Generation auch die Gewichtung dieser Fragen zueinander.

Dabei müssen sich Jugendliche einer Alterskohorte mit den sozioökonomischen und kulturellen Bedingungen arrangieren, die sie jeweils vorfinden. Dazu gehört etwa die Offenheit von Paarbildungsprozessen und „Heiratsregeln“, die konjunkturelle Lage auf dem Arbeitsmarkt oder eine reale oder wahrgenommene Bedrohung der eigenen Sicherheit. Die Bedingungen für den Weg ins Erwachsenenleben unterscheiden sich demnach nicht nur für Milieus, sondern darüber hinaus auch nach der jeweiligen nationalen und sogar globalen kulturellen, sozialen und politischen Gesamtkonstellation. Vor dem Hintergrund massiver Veränderungen in einer vor einigen Jahren einsetzenden Polykrise, aber auch in früheren, historischen Krisen, können oder konnten Adoleszente dabei nur bedingt auf die Ratschläge älterer Generationen hören, weil deren Erfahrung in einer anderen Zeit entstanden war. Seit den 2000er Jahren haben soziale Netzwerke und der Austausch über Mobiltelefone die Kommunikation von Familien und jugendlicher Peer Groups stark verändert. Eine Orientierung über klassische Medien wird heute durch das Interesse an „Influencern“ ersetzt, die sich aber in einer ganz anderen Logik bewegt. Ausgestaltete Jugendkulturen (wie einst Hippies, Punks oder Techno) sind heute kaum erkennbar. Was folgt aus diesen Verschiebungen, welche kohärenten Prämissen und Deutungen lassen sich erkennen und was ergibt sich aus ihnen jenseits einer bloß klassifikatorischen Unterscheidung nach Alterskohorten („Generation Z“)? Zu welchen Deutungen und Überzeugungen kommen Adoleszente heute für die Bewältigung wichtiger Lebensentscheidungen, und auf welchem Weg entwickeln sie diese Perspektiven?

Der Workshop an der Universität Basel soll dazu dienen, die Entstehung von Deutungsmustern in Adoleszentenkohorten in Deutschland und im transatlantischen Raum zu erkunden und zu diskutieren. Wir laden Kolleginnen und Kollegen aus der Soziologie, der Geschichtswissenschaft und aus benachbarten Fächern ein, der historischen wie aktuellen Entstehung von Deutungsmustern unter Adoleszenten nachzuspüren. Besonders willkommen sind Beiträge, die gezielt ausgewähltes Material wie etwa Interviews, Publikationen oder auch Chat-Verläufe exemplarisch ins Zentrum der Analyse rücken. Insgesamt soll es darum gehen, der aktuellen und wohl erst im Entstehen begriffenen Entwicklung auf die Spur zu kommen. Sehr willkommen sind jedoch auch Beiträge, die die Entwicklung adoleszenter Deutungsmuster in früheren historischen Krisen vergleichend in den Blick rücken, etwa vor dem Ersten Weltkrieg oder während des Zweiten Weltkriegs, in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit seit 1945 oder nach dem Niedergang der Sowjetunion.

Mögliche Themen für Beiträge:

  • Welches Bild ergibt sich (gegebenenfalls auch im Kontrast zu quantitativen Erhebungen) aus einzelnen Fallgeschichten und ihrer Auswertung? Spielen zeitgenössische politische Debatten eine Rolle, und wenn ja, welche?

  • An welchen Orten werden politische Perspektiven unter Jugendlichen heute diskutiert und gibt es eigene „jugendliche Diskursorte“? Welche Rolle spielen dabei ihre inhaltlichen Besonderheiten und Strukturen (etwa der Social Media)?

  • Welche Rolle spielen Schulen und Lehrkräfte in der Öffnung und/oder Einschränkungen politischer Diskurse über „Demokratie“, Nahostkonflikt, Antisemitismus und „Nie wieder!“ an öffentlichen Orten der Bildung?

  • Welche Kontroversen finden unter Jugendlichen heute besonderen Widerhall? Konkretisieren sich Großkrisen für junge Menschen polarisierend in Diskursen zum Klimawandel („Fridays for Future“) oder (in Deutschland) im Zusammenhang mit Fragen nach der (Wieder-)Einführung einer allgemeinen Wehr- bzw. Dienstpflicht für Männer und Frauen - oder (in den USA) über unterschiedliche Haltungen zur Politik der Trump-Regierung? Welche Rolle spielen Diskurse wie etwa diejenigen über toxische“ und „Neue Männlichkeit“ oder der vieldiskutierte „Clash zwischen Gen Z und Boomern“?

  • Welche Weltbilder haben Adoleszente in Zeiten massiver historischer Krisen entwickelt, welche Weltbilder prägen Jugendliche im Kontext der jüngsten Polykrise?

Die Tagung findet statt an der Universität Basel. Vorträge können auf Deutsch oder Englisch gehalten werden, die Diskussionen finden auf Deutsch statt. Deadline für das Einreichen von Vorschlägen ist der 1. September 2025. Bitte reichen Sie eine knappe Skizze von bis zu 300 Worten (für einen 30-minütigen Vortrag) zusammen mit Ihrem 1- bis 2-seitigen CV in einem einzigen PDF an roland.becker@unibas.chDas Programm stellen wir auf Basis der Einreichungen möglichst bis zum 1. November 2025 zusammen. Eine Erstattung der Reisekosten können wir derzeit nicht zusagen, entsprechende Fördermittel werden wir jedoch beantragen. Für Fragen steht Roland Becker (roland.becker@unibas.ch) zur Verfügung.

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